Volker Bauer, MdL zum BVerfG-Urteil zur Wahlrechtsreform

Mit großer Spannung wurde das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform der Bundesregierung erwartet. Staatsregierung, CSU und LINKE hatten, insbesondere mit Blick auf die Abschaffung der Grundmandatsklausel, dagegen geklagt. Nun liegt das Urteil vor. Der Abgeordnete des Kreises Roth im Bayerischen Land-tag und Vorsitzende des CSU-Kreisverbands Roth Volker Bauer nimmt dazu Stellung.

Bestätigung der Grundmandatsklausel das 2. Mal in wenigen Monaten, dass Karlsruhe Ampelpläne kassiert

„Die Grundmandatsklausel erfüllt den Willen der Verfassungsväter. Diese würdigten den föderalen Aufbau unserer Bundesrepublik im Gegensatz zur Ampel-Regierung und stärkten die demokratische Mitwirkung jenseits machtpolitischer Überlegungen. Sie sicherten die Repräsentanz auch kleinerer, regional immens verankerter Parteien im Bundestag. Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts erinnert Scholz, Habeck und Lindner eindrücklich daran, dass ihr parteipolitisch motiviertes Herumschrauben am Wahlrecht erneut verfassungswidrig war. Nach dem Schuldenhaushalt ist dies das zweite Mal innerhalb weniger Monate, dass Karlsruhe der Ampel sagt: „Halt. Stopp. So nicht.“ Der Glaube der Bevölkerung an Fähigkeit und Redlichkeit in der Politikgestaltung der Ampel dürfte so definitiv nicht wachsen.“

Bestätigung der Erststimmenmandat-Kappung führt zu weniger Bürgernähe der Politik

Nach Bewertung des langjährigen, ehrenamtlichen Schöffenrichters Bauer ist das Urteil dennoch kein Grund zur Freude für die Menschen in Bayern und jene, denen an einer bürgernahen Politik als das beste Mittel gegen Extremismus gelegen ist:

„Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass künftig de facto nur noch die Zweitstimme zählt – jenseits der mit Erststimme zu erringenden drei Wahlkreisen für einen „Grundmandatsklausel-Schutz“. Der Wille bundesweit exakter Repräsentanz treibt demokratietheoretisch allerdings interessanteste Blüten, die ich im krassen Widerspruch zum föderalen Aufbau unserer Republik und einer bürgernahen, transparenten, Parteien-Geklüngel entzogenen Politik sehe. Es wäre sinnvoller gewesen, man hätte sich am bayerischen Wahlrecht orientiert“, so Bauer.

Statt Verantwortungsdiffusion hätte man sich lieber am bayerischen Wahlrecht ein Beispiel genommen

Im Freistaat werden Erst- und Zweitstimme addiert, um dem effektiven Wählerwillen abzubilden und damit sogar starre Parteilisten aufzubrechen. Auf Bundesebene rücken die Verfassungsrichter Politik jedoch weiter weg von den Menschen. Bauer erklärt warum:

„Mit dem heutigen Urteil sendet Karlsruhe die in meinen Augen problematische Botschaft: „Wahlkreisgewinner sind nicht in besonderer Weise ihren Wählerinnen und Wählern verpflichtet und grundsätzlich ihrem Gewissen sowie dem Wohl des gesamten deutschen Volkes. Sie sind nur den letzten beiden verpflichtet.“ Das bedeutet, dass Verantwortung für politisches Handeln nebulöser, weniger zurechenbar wird. Es gibt nicht mehr den oder die „Vertreterin der Menschen einer Region in Berlin“, der im Großteil der Fälle Abgeordneter einer Regierungspartei ist und daher den Menschen vor Ort „Rede und Antwort“ stehen muss. Wo diese Bindung zwischen „der Bevölkerung“ und „der Politik“ abreißt, gewinnt genau eine Gruppe: die der Extremisten und Populisten.“

Erststimmenmandat-Kappung demokratietheoretisch problematisch

Was dies in der Praxis bedeutet schildert Bauer in einem Gedankenspiel den Wahlkreis Roth betreffend: „Die Menschen im Landkreis Roth und dem Nürnberger Land haben als deutlichen Wahlkreissieger Ralph Edelhäußer, MdB von der CSU als „ihren Mann“ nach Berlin geschickt; mit 38 Prozent der Erststimmen bei 32,3% Prozent Zweitstimmen für die CSU. Das sind fast doppelt so viele Erststimmen wie Jan Plobner, MdB (SPD) und 11,7 Prozentpunkte mehr bei den Zweitstimmen. Nicht gesprochen vom Abstand zu Kristine Lütke, MdB (FDP) mit 6,7 Prozent bzw. 9 Prozent. Beide haben sich also bei einer auf Landesebene koordinierten Listenaufstellung ihrer Partei durchgesetzt, nicht aber bei den Menschen vor Ort. Diese haben deutlich gezeigt, wem sie politische Gestaltung zutrauen.

Wäre der Wahlkreis jetzt etwas urbaner, der Zuspruch zu Grün und SPD also etwas höher oder die FW würden in Hubert Aiwangers Eitelkeitsversuch gegen die 5-Prozent-Hürde anzuspringen zwei bis drei Prozentpunkte von der CSU ziehen, läge Ralphs Zweit-stimmenwert „nur“ noch bei 28 Prozent. Dann wäre nicht mehr garantiert, dass Ralph die Menschen in Roth und dem Nürnberger Land im Bundestag vertritt, selbst wenn er den Wahlkreis mit 15 bis 20 Prozent Vorsprung gewinnt. Denn: nach dem heutigen Urteil sollen nicht mehr alle Wahlkreissieger in den Bundestag einziehen, sondern nur die Prozentbesten einer Partei – bis deren, am bundesweiten Zweitstimmenanteil bemessenes Kontingent ausgeschöpft ist. In der Konsequenz kann dies dazu führen, dass mehrere 100.000 bis Millionen Menschen im Freistaat eine parlamentarische Vertretung bekommen, die sie nicht gewählt haben!“

Überhang- und Ausgleichsmandate erst nach der Deutschen Einheit ein Thema

Der 1971 geborene Landtagsabgeordnete unterstreicht außerdem, dass sich das von der Ampel-Regierung als Begründung herangezogene Ziel einer Verkleinerung des Bundes-tags erst mit der Deutschen Einheit ergeben habe. Eine Kappung der Erststimmenmandate könne folglich schwerlich Intention der Verfassungsväter gewesen sein:

„Unser Wahlrecht spiegelt seit Anbeginn der Bundesrepublik deren föderalen Aufbau in der Teilung nach Erst- und Zweitstimme wider. Ausgleichs- und Überhangsmandate bekamen erst später hinzu. Denn: eine prozentuale „Überrepräsentanz“ der CSU im Bonner Bundestag war bis 1990 kein Thema, da das bayerische Wahlgebiet der CSU prozentual größer war. Dass jetzt die Bayern, durch Pläne einer rot-grün dominierten Bundesregierung, zahlen sollen, während die SPD die Einheit früh aufgab und die Grünen sie lange ablehnten, ist fast schon zynisch.“